DÖRTI TOLK

benannt nach meiner Tante Dörti, die mit 33 Jahren für mich gestorben ist.

                                             Frauen im Bilde



Heute ist Mittwoch, aber es kommt mir vor, als wäre erst die halbe Woche rum. In unserer Familie bin ich das Sprachtalent. Für Hausarbeit bin ich nicht so der Typ. Muss ich auch nicht, weil Mama lieber alles selbst macht. Sie sagt immer, Dörti, du verteilst den Dreck nur. Aber gleichmäßig.
Einmal hatten wir eine Hilfe, weil Mama sich bei einem Autounfall den rechten Arm und das linke Bein gebrochen hatte. Solange ich denken kann, reisen meine Eltern jedes Jahr in ihrem Urlaub nach Büsum. Mama sagt immer, was man kennt, das kennt man. Wenn Mama das sagt, dann ist es auch so.
Vor drei Jahren hatten die beiden einen Verkehrsunfall auf dem Heimweg von Büsum nach Essen-West. Mama sagt, Papa war schuld. Doch Papa meinte dazu Papperlapapp. Mama musste für zwei Tage in einer Klinik in Osnabrück bleiben. Die Polizei ist zu Mama ins Krankenhaus gekommen und hat versucht, sie zu befragen. Papa war dabei, doch das hat die Dinge nicht klarer aussehen lassen.
Zu dem Unfall kam es, weil Papa sich geweigert hat, auf die linke Spur zu wechseln, um einen Wohnwagen zu überholen. Mama hat verlangt, dass Papa von seiner Schweigepflicht Gebrauch macht. Hat er aber nicht. Papa hat geredet.
Im Unfallbericht der Polizei steht:
Papa ist stur hinter einem Wohnwagen hergefahren. Mama hat ihm hundert Mal gesagt, er soll endlich überholen. Papa hat hundert Mal gesagt, er will lieber gemütlich zuhause ankommen als ungemütlich tot sein. Mama hat dann gesagt, ich geb‘ dir gleich gemütlich und über Deinen Tod reden wir noch. Dann wollte Mama von ihrer Schweigepflicht Gebrauch machen, doch die Polizisten waren nicht einverstanden. Dann sagte Mama, sie hat das Lenkrad nur ein bisschen gedreht, weil Papa so blöd gegrinst hat. Papa sagte, dass er noch nie blöd gegrinst hat und machte dann doch für zehn Minuten von seiner Schweigepflicht Gebrauch. Denn so lange hat es gedauert, bis man sich auf ein nicht blödes Grinsen einigen konnte, das nur ein kleines bisschen blöd ausgesehen hat. Papa hat gesagt, er hat ein bisschen gelächelt, weil er am Steuer gesessen hat. Er hat nämlich gedacht, die Macht sei mit ihm. Mama sagte, dass sie das nicht wissen konnte, weil er nichts gesagt hatte. Sowieso hat Mama in der letzten ‚Frauen sind im Bilde‘ gelesen, dass Leute über 70 ihren Führerschein freiwillig abgeben sollen. Papa sei jedoch ein vernagelter Sturkopf, und jetzt sieht man ja, was er damit anrichtet. Glücklicherweise gab es keine weiteren Verletzten. Das Auto meiner Eltern war auf dem Dach zum Stehen gekommen. In einem Erdbeerfeld bei Osnabrück. Die Köttelbecke haben sie nur knapp verfehlt. Weil das Auto Schrott war, ist Onkel Hans-Dieter nach Osnabrück gefahren, um die beiden abzuholen. Mama musste hinten sitzen. Wegen der Gibse konnte Mama wochenlang nicht selbst putzen. Und das nur wegen Papas vernagelter Sturheit und weil er Mama mit seiner Gemütlichkeit fast umgebracht hatte.
Während dieser Zeit hatten wir eine Hilfe für den Haushalt, aber die hat den Dreck auch nur gleichmäßig verteilt, genau wie ich. Nach drei Wochen hat sie den Putzlappen nach Mama geworfen und wollte ihr auch noch den linken Arm und das rechte Bein brechen.
An diesem Tag bin ich leider ein paar Minuten zu früh nachhause gekommen, sodass ich das aus Versehen verhindert habe.
Bis die Gipse endlich ab waren, war das ziemliche Kacke. Mama konnte sich den Hintern nicht selbst abwischen. Pinkeln konnte sie aber allein. Sie meinte, ihr linker Arm ist kürzer als ihr rechter Arm, und deshalb klappte es nicht mit dem Abwischen. Ich habe den Arm nicht nachgemessen, doch wenn Mama das sagt, dann ist das so. Deshalb hockte Mama meistens stundenlang auf dem Klo und brüllte sich die Lunge aus dem Hals, weil Papa ihr helfen sollte. Doch Papa ist schwerhörig, ein Hörgerät will er aber nicht.


Fortsetzung folgt. Mein Wortgewand ist in der Wäsche.


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